Man sollte meinen, dass mit der heutigen Informationsfülle auch mehr Allgemeinwissen um sogenannte „psychische Erkrankungen“ vorhanden ist. Zumindest was die häufigsten Diagnosen betrifft: Anpassungsstörungen, Ängste, Panikattacken, Phobien, oder depressive Episoden. Sie sind nicht nur weit verbreitet, sondern in der Regel auch gut behandelbar.
Leider wirken noch immer Vorurteile, die eigentlich seit Jahrzehnten schon überholt sein müssten: die betroffenen Personen wären „nicht normal“, nicht belastbar, womöglich sogar unberechenbar, zu emotional, zu labil, zu sensibel… Ziemlich falsche Annahmen, wenn man bedenkt, dass die meisten der obengenannten „Erkrankungen“ Folgen von Erlebnissen sind. Denn
das Leben hinterlässt Spuren,
was bei körperlichen Erkrankungen viel selbstverständlicher ist und ebenfalls jeden/jede treffen kann: Erkältungen, Grippe, Allergien, Herpes, Gastritis, Karies, Knochenbrüche usw. Aber solche Erkrankungen beschädigen oder verändern weder das Selbstbild, noch das Ansehen der Person.
Und natürlich würde man nicht erwarten, dass jemand mit einer dicken Erkältung voll leistungsfähig ist, oder mit einem verstauchten Knöchel Tennis spielt. Nach eingehender Untersuchung und entsprechender Diagnostik würde eine angemessene Behandlung erfolgen: Krankschreibung, Ruhe, wenig Belastung, Medikamente oder andere unterstützende Maßnahmen. Die Symptome und Beschwerden klingen dann nach einer gewissen Zeit ab, man fühlt sich wieder „gesund“.
Wunden und Verletzungen
entstehen aber im Lauf eines Lebens auch auf psychischer/seelischer Ebene. Sehr oft sind diese Verletzungen verursacht durch nahestehende Personen, sie können aber auch durch die großen Themen der menschlichen Existenz hervorgerufen werden. Themen, denen wir uns alle nicht entziehen können.
- Verletzungen aus der Kindheit
- Anpassung an Veränderungen jeglicher Art
- Schicksalsschläge
- Verlust von geliebten Menschen oder Tieren
- Umgang mit dem Älter werden, mit dem eigenen Tod
Ob nun eine einzelne Erfahrung oder eine Ballung von belastenden Erlebnissen in einem kurzen Zeitraum über einen Menschen hereinbricht- niemand ist „unkaputtbar“. Das essentielle Bedürfnis nach Sicherheit, Kontrolle und Unversehrtheit wird zumindest vorübergehend untergraben.
Wie bei den oben genannten körperlichen Symptomen, sollte es auch in seelischen Belangen selbstverständlicher sein, bei Bedarf eine entsprechende Unterstützung zeitnah in Anspruch zu nehmen. Sei es durch Krankschreibung, Zeit und Ruhe zur Verarbeitung, durch therapeutische Hilfe oder auch medikamentöse Begleitung.
Da psychische Belange aber immer noch mit Vorurteilen behaftet sind, entsteht womöglich der Gedanke:
„Mit mir stimmt was nicht.“
Die Folgen sind zum Beispiel
- Verheimlichen
- geringeres Selbstwertgefühl
- Schuld- oder Schamgefühle
- Sozialer Rückzug
- Verzicht auf (professionelle) Hilfe
- Aushalten der Beschwerden
- eventuelle Chronifizierung
Und das bedeutet: Unnötiges und verlängertes Leiden, sowie Einbuße von Lebensqualität und Lebensfreude.
Die Ursache einer Erkrankung,
sei es nun auf der körperlichen oder psychischen Ebene, ist hier zugegebenermaßen zum Zweck der Veranschaulichung grob vereinfacht dargestellt. Es gibt sehr wohl genetische Faktoren, die prädisponierend wirken können- aber nicht zwangsläufig zu einer Erkrankung führen müssen. Auch Wechselwirkung von Körper und Geist sind bekannt (Psychosomatik).
Was also kann man tun?
Achtsamkeit, Selbstfürsorge und gesundheitsbezogenes Verhalten sind sicherlich wichtige Schlagworte, wenn es um die großen Fragen geht. Wie entsteht eine Erkrankung- und wie lässt sich diese verhindern? Aber noch viel wichtiger: Wie entsteht Gesundheit- und wie kann man sie fördern? Wohlgemerkt, es geht hier nicht um Schuld, sondern um Übernahme von Verantwortung!
Gesund oder krank?
Diese Begriffe suggerieren zwei gegensätzliche Zustände, die es in der reinen Form nicht gibt. Weder in physischer noch in psychischer Hinsicht. Die Vorstellung eines Kontinuums und veränderlichen Zuständen zwischen diesen beiden Polen ist realistischer, denn niemand ist jemals zu 100% gesund oder krank. Somit liegt es vor allem in der eigenen Verantwortung, sich möglichst weit in den „gesunden“ Bereich des Spektrums hinein zu bewegen. Ganz bewusst und definitiv auch aktiv.
Fazit:
Ich würde mir schlichtweg mehr Akzeptanz und Verständnis wünschen für die Tatsache, dass in einem „normalen“, durchschnittlichen Leben verschiedenste Phänomene und Symptome auftreten. Die entweder von alleine verschwinden oder bei Bedarf angemessen behandelt werden können.
Garantiert kennst auch Du jemanden in Familie, Bekanntenkreis oder Job, mit einer Phobie oder Ängsten. Eventuell hast Du selbst bereits eine depressive Phase erlebt oder hattest Schwierigkeiten, Dich an eine neue Situation zu gewöhnen (Umzug, Jobwechsel, Heirat, Elternschaft, Trennung…). Aber was bedeutet das?
Eine Diagnose ist lediglich eine Momentaufnahme. Eine hilfreiche Bezeichnung, eine Beschreibung von gemeinsam auftretenden Symptomen. Eine Diagnose definiert Dich nicht und sie sagt NICHTS über Dich als Person aus.